Carita feliz – das ist der Name der Schule, in der ich die letzten beiden Wochen nachmittags eine Lehrerin unterstützt habe. Genau genommen ist es eher sowas wie ein Lernzentrum, in dem Schüler zwischen 5 und 14 Jahren (kollektiv) Nachhilfestunden bekommen und bei ihren Hausaufgaben betreut werden. Außerdem gibt es ein kostenloses Mittagessen sowie Vitaminpräparate und Obst am Nachmittag und einmal pro Monat kommt ein Arzt vorbei, der die Kinder kostelos untersucht, da die Kinder des Carita feliz meist aus Familien stammen, denen sehr wenig Geld zur Verfügung steht. Finanziert wird die Einrichtung hauptsächlich aus den Mitteln, die dem dänischen Konsul Peder Kolind in Granada zur Verfügung stehen.
Zunächst war ich zwar etwas enttäuscht, dass das Projekt, in dem ich eigentlich arbeiten wollte/sollte vorzeitig beendet oder zumindest ausgesetzt wurde, so dass ich gar keine Chance hatte, einen Einblick in die Arbeit auf der Finca zu bekommen. Die Arbeit mit den Kindern war letztlich aber auch eine sehr wertvolle Erfahrung und in so vielen Aspekten eine wirklich große Herausforderung, dass ich nun versuchen möchte, ein bißchen was darüber zu berichten.
Im Wesentlichen habe ich die letzten Tage eine Lehrerin einer ersten Klasse (5 bis 8 Jahre) beim Nachhilfeunterricht unterstützt und den Kindern ihrer Klasse bei den Hausaufgaben geholfen. Was heißt nun aber “beim Nachhilfeunterricht unterstützt”? Man muss sich das in etwa so vorstellen, dass die Kinder vormittags in ihre eigentliche Schule gehen und dann anschließend zum Carita feliz kommen. Dort bekommen sie ein Mittagessen und anschließend beginnt klassenweise der Nachhilfeunterricht in den Bereichen Spanisch, Mathematik, Englisch und PC-Nutzung. Da die Schüler in meiner Klasse gerade erst Lesen und Schreiben sowie die Zahlen zwischen 1 und 20 gelernt haben/lernen, waren wir die beiden letzten Woche fast ausschließlich mit Lese- und Schreibübungen beschäftigt. Und auch wenn ich es anfangs etwas seltsam fand, dass wir die Silben “ma me mi mo mu” jeden Tag gefühlt 200mal durchgegangen sind, so muss man doch sagen, dass sich die meisten der Kinder schwer getan haben; entweder damit diese Silben zu schreiben oder sie zu lesen oder mit beidem. Im Englisch-Unterricht haben wir außerdem die Vokabeln für Körperteile und Tiere wiederholt – allerdings hauptsächlich mündlich und nur ganz wenig schriftlich.

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Carita feliz 4

Carita feliz 5

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Und auch wenn’s natürlich schon Spaß gemacht hat, war es doch hauptsächlich schwierig und anstrengend. Und das in vielerlei Hinsicht. Ein Problem ist beispielsweise, dass es keine richtigen Klassenräume gibt, wie die Bilder zeigen. Da sich also alle Kinder – zwar separiert in Grüppchen – jedoch im selben Raum aufhalten (sowas wie eine große Aula), ist der Lärmpegel grundsätzlich schon recht hoch. Hinzu kommt, dass es keine Einzel- oder Zweiertische gibt, sondern meist zehn bis fünfzehn Kinder oder mehr an einem Tisch sitzen und sich dadurch gegenseitig extrem schnell ablenken bzw. stören. Die extreme Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit fördert das Lernen natürlich auch nicht gerade (mal abgesehen davon, dass für die Kinder ja auch schon Nachmittag ist) und dann kommt ganz gravierend hinzu: die wenigsten dieser Kinder können auch nur drei Minuten still sitzen und konzentriert aufpassen. Anfangs dachte ich, sie wollen einfach nicht. Aber mittlerweile glaube ich, dass sie es wirklich nicht können, denn bis dahin mussten sie es wahrscheinlich nie. Irgendwann steht also immer mal wieder einer auf, tanzt, jemand anderes legt sich auf den Boden und schläft, zwei prügeln sich, kritzeln sich gegenseitig was ins Heft (sofern sie ein Heft und/oder einen Stift dabei haben) oder kaspern sonstwie rum. Grundsätzlich redet auch einfach jeder wann und was er will und somit sind die Lehrer die meiste Zeit damit beschäftigt, einigermaßen Ruhe in die Klasse zu bringen. Und das ist ganz schön schwierig. Denn man hat wenige Möglichkeiten, die Kinder zu maßregeln. Zum einen gibt es in Nicaragua keine Schulpflicht (die Schule ist zwar kostenlos, aber Kinder müssen nicht zur Schule gehen) und zum anderen erfahren viele der Carita feliz-Kinder in Schulbelangen keine ernsthafte Unterstützung von Zuhause; geschweige denn die Lehrer. Mir wurde berichtet, dass die Eltern ihre Kinder oft hauptsächlich dorthin schicken, weil sie dann nachmittags, wenn sie arbeiten, “gut aufgehoben” sind; nicht jedoch weil sie die Schule an sich für wichtig halten. Dies führt unter anderem dazu, dass jeden Tag ein anderes Kind sein Heft vergessen oder gar keinen Bleistift dabei hat und deshalb im Grunde gar nicht arbeiten kann und dadurch noch mehr zum Stören neigt als sowieso schon. Nun ist jedoch das Carita feliz ein Ort, an dem diesen Kindern geholfen werden soll; daher wird natürlich auch bei Problemen mit den Eltern gesprochen. Viel mehr kann man aber eigentlich kaum machen, denn am wenigsten möchte man natürlich, dass diese Kinder gar nicht mehr kommen…
Eine andere Schwierigkeit ist, denke ich, dass die meisten Lehrer-Jobs hier eher schlecht bezahlt sind und die wenigsten Lehrer hier aus einer Lehr-Leidenschaft unterrichten. Die meisten Lehrer arbeiten ganz einfach, weil sie ihre Familien versorgen müssen. Ich habe daher den Eindruck gewonnen, dass der Punkt, an dem man hier als Lehrer resigniert, schon recht früh einsetzt; insbesondere natürlich bei denen, die dem Lehren an sich nur wenig abgewinnen können.
Aber gut, in der zweiten Wochen durfte ich dann sogar selbst zweimal unterrichten. Und ich glaube, dass es – nach anfänglicher Skepsis meinerseits – zwar etwas holprig (so gut ist mein Spanisch dann trotz des Einzelunterrichts nicht!), insgesamt aber ganz gut war. Ich hatte Gesichter zum Zusammenpuzzlen gebastelt und die Kinder mussten die englischen Begriffe der einzelnen Teile (Augen, Ohren, Haare, Mund, Nase, …) nennen und wenn es richtig war, durften sie ein Puzzleteil einbauen. Das hat ganz gut funktioniert und nachdem ich irgendwann mal zu den beiden typischen Raufbolden gesagt hatte, dass ich ihnen nicht zuhöre, weil sie mir ja auch nicht zuhören und ich daher nicht mit ihnen arbeiten kann, waren sogar die in der nächsten Stunde etwas aufmerksamer und friedlicher. Das hat zwar nicht extrem lang gehalten, aber ich hatte den Eindruck, dass davor noch nie jemand sowas zu ihnen gesagt hat. Ähnlich ging’s mir mit einer Schülerin, die ständig die Tasche einer anderen durch den Raum geworfen hat. Als ich sie nach dem Unterricht aufgefordert hab, den Rucksack aufzuheben und an ihre Kameradin mit einer Entschuldigung zurückzugeben, hat sie das erstmal nicht groß interessiert. Nachdem ich jedoch gesagt hab, dass ich notfalls auch die ganze Nacht mit ihr dableiben würde und anfing mich schonmal “häuslich” einzurichten, schaute sie mich überrascht an und entschloss sich nach etwa 5 Minuten das Risiko dann doch lieber nicht einzugehen… Mir ist schon klar, dass einem das so oder so ähnlich natürlich auch in Deutschland passieren kann (die Erfahrung hab ich ja als Jugendleiterin beispielsweise selbst immer mal wieder gemacht), aber ich hab doch den Eindruck, dass hier ganz grundsätzlich eine gewisse Konsequenz fehlt; wahrscheinlich weil es – auf einer täglichen Basis – doch erstmal drängendere Probleme gibt wie etwa: haben wir genug Geld für’s Essen? Oder auch: wie bezahlen wir die Medizin (falls jemand krank wird)? Oder: wo bringen wir das nächste Baby unter? Und da viele der täglichen Probleme direkt mit Geld verbunden zu sein scheinen, ist es – kurzfristig gedacht – auch erstmal plausibel, dass möglichst viele Familienmitglieder möglichst schnell Geld verdienen, anstatt lang zur Schule zu gehen oder gar zu studieren. Und in diesem Kontext mag es natürlich auch ganz praktisch sein, wenn man eher zu denjenigen gehört, die sich anderen gegenüber (körperlich oder verbal) behaupten können. Andererseits habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass viele der Kinder durchaus interessiert sind und gerne lernen, wenn man sich mit ihnen allein beschäftigt. Vermutlich kennen sie das von Zuhause nämlich auch eher nicht.
Und natürlich war ich letzten Freitag, an meinem letzten Tag, dann doch etwas traurig, dass die zwei Wochen schon vorbei waren, auch wenn es doch ziemlich anstrengend war, denn an Kinder gewöhnt man sich ja doch ziemlich schnell; egal wo auf der Welt. 